Die Geschichte von Nowa Huta

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Lebende Legende des Kommunismus. Die wichtigste Investition in den Zeiten, als auf dem Kreml noch Genosse Stalin herrschte. Man kann Nowa Huta aber auch ganz anders sehen – als eine gut entworfene, funktionelle Stadt mit einer spannenden, zuweilen dramatischen Geschichte, die weitaus weiter in die Vergangenheit reicht, als man meinen sollte.

In den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts entstand inmitten der bäuerlichen Landschaft östlich von Krakau eine neue Stadt. Dies geschah infolge des von Stalin der polnischen Regierung unterbreiteten „Vorschlags“, ein großes metallurgisches Kombinat zu errichten.

In Erwägung gezogen wurden verschiedene Standorte, aber letztlich fiel der Beschluss, den größten Industriebetrieb des Landes mitsamt einer sozialistischen Modellstadt um das Dorf Mogiła bei Krakau zu errichten.

Die Bevölkerung der Umgebung lebte seit Jahrhunderten von der Landwirtschaft und die Spuren der menschlichen Besiedelung reichen in die Zeit von mehreren Jahrtausenden vor unserer Zeitrechnung (hier wurde das älteste polnische Golderzeugnis gefunden, ein Ohrring aus der Zeit um 2000 v. Chr.) Hier wurde vermutlich im 7. oder 8. Jahrhundert der geheimnisvolle Wanda-Hügel aufgeschüttet, angeblich zu Ehren der Tochter des Stadtgründers.

Hier ist auch eine der ältesten Krakauer Kirchen zu bewundern. Im Frühmittelalter ließen sich die Zisterzienser in Mogiła nieder und gründeten ein Kloster nebst Klosterkirche, die bald schon zu einem der beliebtesten Wallfahrtsziele in Polen wurde. Für lange Jahre blieb sie das einzige Gotteshaus im – nach den Plänen der kommunistischen Machthaber – atheistischen Nowa Huta.

Für den Bau eines riesigen Kombinats mögen geografische und demografische Argumente gesprochen haben, der wichtigste Grund war aber politischer Natur. Die Ansiedlung einer klassenbewussten Arbeiterschaft sollte das geistige Profil von Krakau verändern, einer Stadt, die den Kommunisten als Bastion der Reaktion und mächtiger Einflüsse des Bildungsbürgertums und der katholischen Kirche suspekt war.

Der erste Spatenstich wurde am 23. Juni 1949 getan (am Wohnblock in der Mierzwy-Straße 14, woran heute eine Gedenktafel erinnert). Eine der Aufgaben der neuen sozialistischen Musterstadt sollte die Erziehung einer atheistischen Gesellschaft sein. Um den christlichen Heiligen eine heidnische Heldin entgegenzusetzen, wurde nach der legendären Fürstentochter Wanda alles benannt, was ging: Wanda hat in Nowa Huta ihr Denkmal (auf dem Wanda-Hügel), aber auch eine Wohnsiedlung, ein Stadion und ein Warenhaus.

Etwas später, am 26. April 1950, wurde mit dem Bau des Kombinats begonnen, das bald darauf nach Wladimir Iljitsch Lenin benannt wurde. Im Rekordjahr 1977 erreichte dieser Hüttenmoloch seinen Zenit hinsichtlich der Menge der Produktion (6,7 Millionen Tonnen Stahl jährlich), der Beschäftigung (38 000 Mitarbeiter) und … der Umweltschädlichkeit.

Gemäß der Ideologie des Sozrealismus hatte die Kunst sozialistisch in der Aussage und national in der Form zu sein“. Die apokalyptischen Kriegszerstörungen hatten in verhältnismäßig heilem Zustand überlebt: die von der Renaissance geprägten Städte Krakau, Zamość und Kazimierz Dolny. Die Renaissance wurde also als „nationale Form“ betrachtet und prägte deshalb auch den Stil von Nowa Huta. Die neue Stadt wurde von hervorragenden Städtebauern konzipiert, die Respekt vor den klassischen Vorbildern hatten. Das Herz der Stadt sollte der Centralny-Platz sein, ein Zentrum nach dem Muster einer griechischen Agora, wo sich das öffentliche Leben abspielt. Darum herum sollten Wohnsiedlungen und die wichtigsten Parteigebäude, allen voran der Sitz des Städtischen Parteikomitees, entstehen. Dieser Plan wurde jedoch nicht vollständig realisiert.

Heute gehen vom Centralny-Platz strahlenförmig die fünf Hauptarterien der Stadt aus, zwischen denen Quartale ausgewiesen wurden, die nach den ersten Buchstaben des Alphabets benannt sind – jedes einzelne ist gewissermaßen ein in sich geschlossener städtischer Organismus, eingegrünt und autark, sogar mit Luftschutzbunkern bestückt. Sehr eindrucksvoll ist das Verwaltungszentrum der ehemaligen Lenin-Hütte (heute ArcelorMittal Poland) – ein an die Renaissancearchitektur anknüpfendes palastartiges Gebäude neben den Werkstor (Ujastek-Straße 1), das von den Einheimischen „Dogenpalast“ oder „Vatikan“ genannt wird.

Schon in den Fünfzigerjahren wurde in Nowa Huta das bis heute tätige Volkstheater (Teatralne-Siedlung 34) eröffnet, außerdem zwei gleichartige Kinos: „Świt“ (Teatralne-Siedlung 10) und „Światowid“ (Siedlung Centrum E-1), in dem heute das Museum der Volksrepublik seinen Sitz hat. Lange musste Nowa Huta aber auf die erste eigne Kirche warten (bis dahin nahm das Zisterzienserkloster Mogiła diese Rolle ein). Das erste Gotteshaus in der Arbeiterstadt war die berühmte Arche des Herren, die – und auch das nur dank der mutigen Entschlossenheit der Einwohner – erst in den Jahren 1967-1977 entstand.

Entgegen den Plänen der kommunistischen Ideologen gelang es weder, das neue, proletarische Nowa Huta gegen das altehrwürdige, bürgerlichen Krakau auszuspielen, noch es als Stadt ohne Kirche aufrechtzuerhalten. In der Zeit des Kriegszustands kam es hier zu großen Manifestationen zur Verteidigung der verbotenen Gewerkschaft „Solidarność“. Es ist eine besondere Ironie der Geschichte, dass die an die Verteidigung im Falle eines Angriffs der NATO angepasste Architektur der Wohnsiedlungten in Nowa Huta e letztlich der Miliz erschwerte, die Demonstranten zu fassen zu bekommen …

Im Jahr 2004 wurde der ältere Teil von Nowa Huta ins Krakauer Denkmalregister aufgenommen als repräsentatives Beispiel des sozrealistischen Städtebaus in Polen.

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